Der finale ESM-Vertrag – Ende von Demokratie und Parlamentsvorbehalt

Kein Parlamentsvorbehalt für 167 Mrd. deutsche Zahlungsverpflichtungen

Dieser ESM-Vertrag (s.u.  im Anhang in seiner  Fassung vom 23.1.2012 in voller Länge) darf nicht kommen. Wir werden in den nächsten Wochen von Frau Merkel und Herrn Schäuble und all den anderen Euro-„Rettern“ hören, daß der ESM sinnvoll und alternativlos ist, daß das wirtschaftliche Risiko überschaubar ist und vor allem, daß  jeder Euro, den wir zusätzlich bezahlen sollen, vorher natüüüürlich vom Bundestag abgesegnet werden muß. Das Königsrecht des Parlamentes, die Hoheit über den Haushalt, bleibe selbstverständlich unangetastet.  Diese Selbstverständlichkeit mußte der Abgeordnete Peter Gauweiler (CSU) und wenige andere vor dem Bundesverfassungsgericht aber auch erst erstreiten und der Regierung abtrotzen. Aber vor allem: auch der jetzt amtliche ESM-Vertrag sieht diesen Parlamentsvorbehalt nicht vor.

Ich gliedere diesen Beitrag in

Teil I : Zusammenfassung und Entschleierung  des Vertrages zum besseren Verständnis gegen die landläufigen Falschinformationen und Verwässerungen,

Teil II: Die wichtigste Lüge im Detail: Aus den 167- Milliarden-Bürgschaften werden unmittelbare Milliarden-Bargeldtransfers und das ohne Zustimmung des Bundestages  und

Teil III: Weitere wichtige Fakten, die Sie wissen sollten.

Teil I: Zusammenfassung und Entschleierung  des Vertrages zum besseren Verständnis gegen die landläufigen Falschinformationen und Verwässerungen

Der ESM-Vertrag soll zeitlich unbefristet den Euro „retten“. Dazu schließen sich alle Euro-Länder zum ESM zusammen. Den ESM regieren tut das Direktorium, das aus Personen mit „großem Sachverstand im Bereich Wirtschaft und Finanzen“  (Art. 6) besteht. Das müssen also keine gewählten Volksvertreter oder Regierungsmitglieder sein. Daneben besteht der Gouverneursrat, quasi der Aufsichtsrat, der sich aus den Finanzministern der Euro-Länder und je einem Vertreter zusammensetzt (Art. 5).
Das anfängliche Volumen des ESM beträgt 700 Mrd. Euro (Art. 8); von denen aber „nur“ 80 Mrd. in bar eingezahlt werden müssen (22 Mrd. von Deutschland); der Rest sind „nur“ Bürgschaften (167 Mrd. von Deutschland). Davon zu unterscheiden, ist das „Ausleihvolumen“ von „nur“  500 Mrd. Euro. Dasist die Summe, die der ESM dann tatsächlich an Krediten vergibt.  Sie werden also jetzt landauf landab immer von „ESM = 500 Mrd.“ hören und davon, daß Deutschland ja „nur“ 22 Mrd. (= das doppelte aller Ausgaben für Bildung und Forschung in 2012) tatsächlich einzahlen muß. Und davon, daß wenn Deutschland mehr einzahlen muß, immer der Bundestag wird zustimmen müssen. (Achtung- nicht wahr! Siehe  Teil II). Daß das  Ausleihevolumen „nur“ 500 Mrd. Euro sind, ist im Vertrag übrigens gar nicht geregelt. Das steht nur in der unverbindlichen Präambel (Ziffer 5). Eine Kreditobergrenze bei 500 Mrd.- muß man so einer Kleinigkeit einen eigenen Paragraphen widmen im Vertragstext selbst? Nein, meinen die Verfasser.
Der ESM tritt immer dann auf den Plan, wenn ein Pleitestaat Hilfe ersucht und dann – Achtung – die „Europäische Kommission, im Benehmen mit der EZB“ (so Art. 13) feststellt, daß Gefahr im Verzuge ist. Den Ernstfall ruft – nach gewissenhafter Prüfung versteht sich – also nicht der Gouverneursrat des ESM aus, sondern die EU-Kommission zusammen mit der Europäischen Zentralbank. Man fragt sich dreierlei:  Ist die EU-Kommission nicht eigentlich das Organ der EU aller 27 Mitglieder oderdoch  das Sondereinsatzkommando der nur 17 Euro-Länder? Was hat die EZB da zu suchen, deren Aufgabe es ist, durch kluge Zinspolitik unsere Geldwertstabilität zu wahren? Und ist der ganze ESM und die gesamte angelaufene Euro-„Rettungs“-Orgie nicht  gerade wegen des bereits eingetretenen Ernstfalles überhaupt nur geschaffen bzw. veranstaltet worden, Gefahr im Verzug also nicht schon per se gegeben?  Lassen wir die Frage offen. Wenn also EU-Kommission und EZB Gefahr im Verzug festgestellt haben, dann  „kann der Gouverneursrat beschließen, dem betreffenden ESM-Mitglied … grundsätzlich Stabilitätshilfe gewähren“ (Art. 13). Ich möchte Herrn Schäuble sehen, der als Mitglied des hohen Gouverneursrates ein Hilfeersuchen ablehnt, wenn die EU-Kommission und EZB den Bündnisfall ausgerufen haben.  Der Gouverneursrat hat auch ein eigenes Hilfegewährungsrecht ohne EU-Kommission und EZB, aber wohl nur, wenn kein Hilfeersuchen eines Pleitestaates eingegangen ist (Art. 5 Abs. 6 e)); also nur, wenn Hilfe aufgedrängt werden soll?

Teil II:Die wichtigste Lüge im Detail: Aus den 167- Milliarden-Bürgschaften werden unmittelbare Milliarden-Bargeldtransfers und das ohne Zustimmung des Bundestages

Deutschland muß „nur“ 22 Mrd. sofort einzahlen. Der Rest der deutschen Anteile besteht „nur“ in Bürgschaften (von 167 Mrd. = mehr als die Hälfte des gesamten Bundeshaushaltes 2012.) Bürgschaften sind gänzlich ungefährlich, denn darauf muß man ja nur zahlen, wenn der Bürgschaftsnehmer, also Griechenland z.B., nicht mehr zahlen kann. Ganz undenkbar also (für das Heer unserer hochbezahlten Euro-Retter zumindest). Und deswegen werden die Zahllasten von 167 Mrd. Euro im Haushalt auch erst gar nicht berücksichtigt. Bei jedem Maurerbetrieb käme das einer Bilanzmanipulation gleich…

Nun werden Sie immer hören, daß wir nur 22 Mrd. einzahlen müssen und wenn wir mehr bezahlen sollen,wird der Bundestag zustimmen müssen. Dem ist nicht so:

Wenn die EU-Kommission und die EZB feststellen, daß die Euro-Krise nun ganz, ganz doll schlimm ist und es besonders eilig ist, einem Staat Hilfe zu gewähren, dann tritt das Eilverfahren in Kraft (Art. 4 Absatz 4 Satz 1 u. Satz 2). Und weil es gar so eilig ist, kann erstens die Gewährung von Hilfe ohne Einstimmigkeit des abstimmenden Gouverneursrates beschlossen werden, es reichen 85 % Zustimmung (von 2/3 der Stimmrechte im ESM, die für dessen Beschlußfähigkeit nur anwesend sein müssen und also  theoretisch immer auch ohne deutsche Beteiligung gegeben ist! Art. 4 Absatz 2 Satz 2). Aber zweitens – und hier kommt jetzt der wichtigste Punkt: Wenn Kommission und EZB meinen es brennt, dann kann – anders als sonst – Hilfe direkt aus den bar eingezahlten 80 Mrd. geleistet werden. Es wird dann also nicht „nur“ gebürgt, sondern gezahlt, cash (Art. 4 Absatz 4 Satz 3). Und dann greift Artikel 9 Absatz 2:  „Das Direktorium des ESM“ (und nicht der Gouverneursrat, in dem ja Herr Schäuble mit aller Macht die deutschen Steuerzahlerinteressen verteidigen würde…) „kann das genehmigte, aber eben bar noch nicht eingezahlte Kapital (= 167 Mrd. für Deutschland) durch Beschluß mit einfacher Mehrheit abrufen, um die Höhe des eingezahlten Kapitals ( = 22 Mrd. für Deutschland) wiederherzustellen“ (Art. 9 Abs. 2). Peng. Dann zahlen wir nach den 22 Mrd. Begrüßungsgeld auch unsere „nur“ Bürgschaftssumme- in bar. Wir überweisen nach und nach die 167 Mrd., die im Haushalt nicht berücksichtigt sind. Wie sollten sie auch? 167 Mrd.! Die Schließung der Hälfte aller Schulen und Unis und die Halbierung der Renten und Sozialhilfe und das kurz vor der Bundestagswahl? Äußerst unpopulär. Und keinesfalls friedensstiftend.

Weil es so wichtig ist nochmal: Sollte der ESM, wie schon zuvor der EFSF-„Rettungs“-Schirm auch schon, Probleme am Markt haben und es nicht schaffen, Kredite aufzunehmen, für die wir ja „nur“ bürgen (über 167 Mrd.) und ein Land (oder eine Bank in einem Land (!!!) = Art.15) fürchterliche Geldnot haben, dann wird eben bar bezahlt und dann werden aus unseren „nur“ Bürgschaften sofort  unmittelbare Bargeldtransfers. Der Bundestag muß dem nicht mehr zustimmen, denn er hat ja das „Kapital genehmigt“, also Deutschlands Haftsumme von 22 Mrd. in bar und 167 Mrd. als Bürgschaften grundsätzlich schon abgenickt.  Ob wir 167 Mrd. zahlen, entscheidet das Direktorium des ESM, eine Gruppe international  erfahrener Wirtschafts- und Finanzexperten. Hurra.

Womit uns die Regierung und ihre Helfer beruhigen wollen und was man Ihnen in den nächsten Wochen immer vorhalten wird ist Art. 5 Absatz 6 b) und c): Der Gouverneursrat, in dem Herr Schäuble als Finanzminister die deutschen Steuerzahlerinteressen verteidigt, beschließt über eine Erhöhung des Stammkapitals (=700 Mrd. insgesamt;  Deutschland davon: 189 Mrd.). Wenn Herr Schäuble das also ablehnt, kann Deutschlands Haftung nicht steigen und also ist die Demokratie gerettet. Vorausgesetzt,  man versteht Demokratie so, daß nicht das gewählte Parlamentgestaltet und beschließt, sondern die Haushaltsgewalt des Parlamentes allein durch den Finanzminister ausgeübt wird und wenn man das Haushaltsrecht degradiert in ein Abwehrrecht in Form eines Vetorechtes gegen fremde Zahlungsbefehle an Deutschland. (Nur in Klammern und hier wiederholt: Der ESM ist auch ohne Deutschland beschlußfähig. Wenn also die nächste Vulkanaschewolke dem Minister den Anreiseflug vermasselt- kein „Vetorecht“.)

Teil III: Weitere wichtige Fakten, die Sie wissen sollten.

Nur wenn Sie nicht schon genug haben:
Ob die 500 Mrd. Ausleihekapazität ausreicht, wird noch vor Inkrafttreten geprüft und bei  Inkrafttreten erhöht. Das steht so bereits im Vertrag. Anders gesagt: Die Parlamente nicken erstmal nur  500 Mrd. ab, aber es ist bereits schriftlich fixiert, daß unmittelbar danach die Summe erhöht wird, damit gleich am allerersten Tag des inganggesetzten ESM dieser mehr „Handlungsspielraum“ hat. Hätte ich das nicht selbst gelesen- ich hätt´ es nicht geglaubt. (s.u. im Vertrag, Präambel Ziffer 6)

Angeblich müssen sich alle Länder, die ESM-Hilfe bekommen, den  strengen Richtlinien der Fiskalunion unterwerfen, sich also auf striktes Sparen usw. schon vorher festlegen. Das steht aber nicht als verbindliche Regelung im Vertrag, sondern nur in der Präambel– ist also eine reine Absichtserklärung.

Der ESM tritt mit seinen Rechten ausdrücklich hinter den IWF zurück. Wenn also ein Pleitestaat  Geld sowohl vom ESM als auch vom IWF bekommen hat und die Rückzahlung nur  zum Teil leisten kann, dann kriegt der IWF das Geld und nicht der ESM (Präambel Ziffer 13). Außerdem wird überall angestrebt, die Beteiligung des IWF möglichst auszuweiten. Der IWF regiert also in der Euro-EU mit.

Der ESM und alle Beteiligten genießen natürlich umfassende gerichtliche Immunität. Die Archive des ESM und sämtliche Unterlagen sind unverletzlich (also geheim). Die Geschäftsräume sind unverletzlich (also kein Zutritt). Das gesamte Eigentum des ESM ist von allen Beschränkungen, Verwaltungsvorschriften, Kontrollen und Moratorien jeder Art befreit. Der ESM ist von jeglicher Zulassungs- oder Lizensierungspflicht, die sonst für Kreditinstitute oder sonstige Unternehmen gelten, befreit (alles in Artikel  32 und 35). Der ESM ist von allen Steuern befreit. Die Bediensteten des ESM sind von der Zahlung nationaler Einkommensteuer befreit (Art. 36).

Wenn Sie der Meinung sind, der ESM-Vertrag darf nicht verabschiedet werden, wenn Sie der Meinung sind, daß Demokratie heißt, das Parlament entscheidet über den Haushalt und nicht der Finanzminister, wenn Sie der Meinung sind, daß internationale Finanzexperten nicht 167 Mrd. Euro aus dem Deutschen Haushalt abrufen dürfen, dann sagen Sie das über AbgeordnetenCheck.de  mit einem Klick hier den Abgeordneten des Bundestages (die ausgewählten MdBs werden laufend geändert).

Und hier finden Sie den ESM-Vertrag im Volltext.