Die Bundesregierung behauptet, das Attentat des Tunesiers Anis Amri am 19. Dezember 2016 auf den Berliner Breitscheidplatz hätte nicht verhindert werden können. Doch die Fakten zeigen ein anderes Bild. Seit über einem Jahr arbeiten wir in dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages an der Aufklärung der tatsächlichen Umstände dieses schwersten islamischen Angriffs in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Behauptung das Attentat sei das Werk eines einzelnen islamischen Gefährders, der spontan beschließt einen LKW zu kapern und diesen in die Menschenmenge eines gut besuchten Weihnachtsmarktes einer europäischen Großstadt zu steuern, ist falsch.
Kontakte zum Islamischen Staat und nach Libyen
Für die Bundesregierung stand nach der Tat fest: das war ein Einzeltäter. Zwar hatte Amri haufenweise Kontakt zu anderen islamischen Gefährdern und Netzwerken in Deutschland, aber eine tatsächliche, aktive Beteiligung anderer könne nicht nachgewiesen werden. Doch nach einiger Zeit wurde öffentlich bekannt, dass Amri während seiner Zeit in Deutschland und sogar noch im LKW kurz vor der Tat via Chat Kontakt zu mehreren tatsächlichen und mutmaßlichen Mitgliedern des Islamischen Staates in Libyen hatte. Das war den Sicherheitsbehörden wenigstens teilweise bereits vor der Tat bekannt.
Politisch brisant ist vor allem die Erkenntnis, dass das US-Militär wenige Wochen nach dem Berliner Anschlag schwere Luftangriffe auf genau das libysche IS-Camp flog, in dem sich einige von Amris Kontaktpersonen aufgehalten haben. Sie kamen wahrscheinlich bei den Angriffen ums Leben. Die Bundesregierung weigert sich bis heute einen Zusammenhang zwischen den beiden Aktionen herzustellen. Die Amerikaner hingegen berichteten von Opfern, die „Verbindungen hatten mit einigen Anschlägen, die bereits in Europa passierten“.
Tatverdächtiger wird in Windeseile abgeschoben
Das Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts nach dem LKW-Anschlag von Berlin richtete sich nicht nur gegen Anis Amri. Als Tatverdächtiger war ebenfalls ein guter Kumpel des Terroristen aufgeführt, Bilel Ben Ammar. Die beiden hatten sich noch am Vorabend des Anschlags gemeinsam zum Essen getroffen und hatten sich dabei, nach späteren Zeugenaussagen, sehr konspirativ verhalten.
Dieser Ben Ammar, selbst radikalislamischer Gefährder, wurde eine Woche nach dem Attentat festgenommen und ganze zwei Mal von Polizisten vernommen. Danach kam man angeblich zu dem Entschluss dass eine Beteiligung nicht nachgewiesen werden könnte und der Tunesier schnellstmöglich außer Landes gebracht werden müsse. Und so vollzog sich die wohl schnellste Abschiebung in der jüngeren Geschichte unseres Landes. Innerhalb von nur drei Wochen wurde der Asylantrag Ben Ammars abgelehnt, seine Passersatzpapiere aus Tunesien beschafft und er musste Anfang Februar 2016 den polizeilich begleiteten Rückflug nach Nordafrika antreten.
Erst nachdem der potentielle Mittäter außer Landes verbracht wurde, konnte beispielsweise sein Mobiltelefon ausgewertet werden. Darin fanden sich später Fotos vom Breitscheidplatz, sowie Anhaltspunkte für einen Frankreichaufenthalt während des LKW Anschlags von Nizza.
Die Abschiebung eines Tatverdächtigen oder mindestens wertvollstem Zeugen ist ein einmaliger Vorgang, der reichlich Raum für Spekulationen bietet.
Amri plante Bombenanschläge in Berlin wie an Ostern in Sri Lanka
Neueste Erkenntnisse haben ergeben, dass Anis Amri möglicherweise gar nicht alleine mit einem LKW ein Attentat begehen wollte. Zusammen mit einem russischen und einem französischen Islamisten waren Bombenanschläge in Berlin geplant. Nach ersten Aussagen war das Einkaufszentrum „Gesundbrunnencenter“ im Wedding als Ziel ausgeguckt. Neueren Meldungen zufolge waren aber womöglich auch mehrere Bombenexplosionen zur selben Zeit angedacht – vergleichbar mit dem Massaker in Sri Lanka am vergangenen Ostersonntag.
Der Sprengstoff war bereits einsatzbereit
Nur durch Zufall wurden die beiden Bekannten Amris beim Bau der Bomben gestört und trennten sich vorübergehend voneinander. Der Sprengstoff war bereits besorgt und einsatzbereit. Nachdem die Polizei für eine Gefährderansprache an der Wohnung des Magomed-Ali C. auftauchte, floh der Franzose Clement B., der vermutlich zur gleichen Zeit in der Wohnung mit der Bombe beschäftigt war und die Anschlagspläne wurden auf Eis gelegt. Doch Amri wollte nicht länger warten und schlug auf andere Art und Weise zu.
Einzeltäterthese widerlegt
Ein Einzeltäter, der unabhängig von allen, spontan einen Anschlag verübt, war Anis Amri definitiv nicht. Er war bestens vernetzt und hatte in Europa und Nordafrika reichlich Kontakt zu verschiedenen Terrorzellen. Die Behauptung der Bundesregierung ist hinreichend widerlegt. Wieso Amri in den Monaten vor seinem Anschlag vom Radar der deutschen Sicherheitsbehörden verschwinden konnte und seine Gefahr nicht ausreichend erkannt wurde, bleibt wie vieles andere weiter noch ungeklärt.
Das Gebaren der Bundesregierung legt den Schluss nahe, dass möglicherweise weitere gravierende Fehler gemacht wurden und Dinge verheimlicht werden sollen. Im Untersuchungsausschuss versuchen wir weiter Licht ins Dunkel zu bringen.