An der Enteignung der zypriotischen Sparer läßt sich ohne jeden Restzweifel feststellen, wessen Interessen die EU-Finanzminister vertreten. Es genügt ein einfacher Blick in die Grundzüge des Bilanzrechtes.
Jedes Unternehmen, also auch eine Bank, hat eine Bilanz: auf der linken Seite, der Aktivseite, steht das Vermögen der Bank. In unserem Beispiel hat das einen Wert von 200 (80 für Grundstücke, 50 für Bargeld, 70 für griechische Staatsanleihen.) Auf der anderen Seite der Bilanz, der Passivseite, stehen die Schulden des Unternehmens bei seinen Gläubigern, das sind bei einer Bank die Spareinlagen der Sparer. In unserem Beispiel 180. Und die Differenz zwischen dem Vermögen auf der Aktivseite (200) und den Schulden auf der Passivseite (180) ergibt das rechnerische Eigenkapital der Bankeneigentümer, hier also: 20. Eine Bank mit so einer Bilanz hat für die Bankeneigentümer einen Wert von 20.
Und jetzt kommt das ganz konkrete Problem der zypriotischen Banken: die griechischen Staatsanleihen stehen zwar mit 70 zu Buche, sind das aber nicht wert. Der Wert ist null. Damit allerdings schmilzt das Vermögen (200) um 70 zusammen. Nun stehen auf der Aktivseite also nur noch 130, aber auf der Passivseite immer noch die 180 wegen der Schulden der Bank gegenüber den Sparern aus den Spareinlagen. Die Sparer sind die Gläubiger ihrer Bank und an die muß die Bank irgendwann die Spareinlagen zurückbezahlen. Wenn ein Unternehmen ein Aktivvermögen von 130 hat, dagegen aber Schulden bei seinen Gläubigern von 180 stehen, dann ist ersichtlich dieses Unternehmen nichts mehr wert. Genau genommen hat es einen negativen Wert: 130 – 180 = Minus 50. Die Bankeneigentümer halten jetzt also keinen Wert, zumindest keinen positiven mehr. Niemand wird ihnen für ihre Anteile an der Bank etwas bezahlen, denn der Wert ihrer Anteile ist negativ.
Und jetzt passiert normalerweise das hier: die Gläubiger, an die das Unternehmen Geld zurückzahlen muß, aber nicht kann, werden gebeten auf ihre Forderungen zu verzichten. Dadurch sinken die Schulden des Unternehmens. Bei unserer Bank im Beispiel also: statt Schulden von 180 plötzlich Schulden von Null. Der Wert des Unternehmens ist jetzt nicht mehr 130 minus 180 = minus 50, sondern: 130 minus 0 = 130. Das Unternehmen ist gerettet. Und warum verzichten Gläubiger normalerweise freiwillig auf ihr Geld? Ganz einfach: Sie bekommen im Gegenzug etwas, was das Unternehmen nichts kostet: die Gläubiger bekommen Anteile an dem kriselnden Unternehmen. Fremdkapital wird zu Eigenkapital. Der Gläubiger wird (Mit)Eigentümer des Unternehmens, dem er irgendwann Geld eigentlich nur leihen wollte. Kommt das Unternehmen aber wieder auf die Beine, kann das durchaus Sinn machen. Er partizipiert an den Gewinnen der Bank oder er verkauft seine Anteile.
Für die Zyprioten hat die EU einen anderen Weg gewählt: Die Sparer werden schlicht enteignet. Ihre Spareinlagen werden kurzerhand gestrichen, um die Schulden der Bank zu reduzieren (180 werden so zu Null). Damit steigt das Eigenkapital von zuvor 130 minus 180 = minus 50, auf 130 minus 0 = 130. Der Eigentümer, der vorher einen Wert von minus 50 in den Händen hielt, hat jetzt einen Wert von 130. Und: anders als sonst üblich, muß er unter der EU-Regierung und dem Euro-Krisenmanagement diese 130 nicht mit lauter neuen Eigentümern teilen, die normalerweise für den freiwilligen Verzicht auf ihr Geld Anteile davon bekommen hätten.
Zugegeben: für den ursprünglichen Eigentümer der Bank ist das schon blöd. Erst gehört ihm die Bank alleine und nur, weil die Bank pleite ist und lauter Leute durch ihren Verzicht auf Forderungen die Pleite abwenden, soll er plötzlich teilen?
Herr Schäuble, ich frage Sie und Ihre Amtskollegen: Warum werden die Sparer enteignet, statt sie über einen Debt-Equity-Swap zu beteiligen? Wer Sparer entschädigungslos enteignet, vertritt ganz offensichtlich die Interessen der Bankeneigentümer, statt die der Bürger und Sparer.